Verstoß gegen das Bestäubungsmittelgesetz: Wie das Insektensterben der Gesundheit schadet
Artensterben Es gibt immer weniger Insekten, die unsere Nutzpflanzen bestäuben. Das hat böse Auswirkungen auf die Qualität unserer Lebensmittel – als Folge verlieren jedes Jahr so viele Menschen ihr Leben wie durch Drogenmissbrauch oder Prostatakrebs
Schneidet man einen Apfel in der Mitte durch, entdeckt man im weißen Fruchtfleisch eine Ansammlung von schwarzen Kernen, die sternförmig angeordnet sind. Es ist eine winzige Konstellation von Samen, die hinter der Obstschale versteckt ist. Doch diese offenbart ein ineinandergreifendes Universum der Bestäubung und des Überflusses der Natur – ein empfindliches System, das leicht durcheinander gerät.
Wenn die Apfelblüten bestäubt werden, schütten die Samen Hormone aus, die der Pflanze sagen, welche Vitamine und Mineralien sie produzieren und wie schnell sie wachsen soll. Auf diese Weise werden Knackigkeit, Größe und Form bestimmt. Fallen jedoch die Bestäuber weg, gerät dieses empfindliche System aus dem Gleichgewicht. Wenn nur d
Wenn nur drei oder vier der Kerne bestäubt werden, kann unser Apfel schief wachsen. Sein Nährwert könnte sich verringern, ebenso wie die Haltbarkeit der Frucht, die dann braun und faltig wird, bevor sie reif ist.Die Geschichte des Apfels wird auf der ganzen Welt immer wieder erzählt. In einer neuen Studie wird davor gewarnt, dass zwei Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, doppelt so viele wie in früheren Schätzungen der Vereinten Nationen. Dieser Anstieg ist auf bessere Daten über Insektenpopulationen zurückzuführen, die bisher weniger gut verstanden wurden als andere Gruppen.Auswertung: Früchte, die von Tieren bestäubt werden, haben eine um 23 Prozent bessere QualitätOft sind es Tiere wie Insekten – die Arten, um die wir uns am wenigsten kümmern –, die der menschlichen Bevölkerung den größten Nutzen bringen: Sie bestäuben Nutzpflanzen, tragen zu gesunden Böden bei und bekämpfen Schädlinge. Anders als bei diesen wirbellosen Arten ist der alarmierende Verlust an Wildtieren weltweit gut dokumentiert. In den letzten 50 Jahren sind die Wildtierpopulationen im Durchschnitt um 70 Prozent zurückgegangen – und ihr Verlust hat bereits Auswirkungen auf die menschlichen Gesellschaften.Die jüngste Studie schätzt, dass 24 Prozent der wirbellosen Tiere vom Aussterben bedroht sind – sie sind es, die den größten Teil der Bestäubungsarbeit übernehmen. Pflanzen wie Obst, Gemüse und Nüsse, die die meisten unserer Vitamine und Mineralien liefern, sind abhängig von Bestäubern und Organismen im Boden, die diesen fruchtbar halten. Schätzungsweise 75 Prozent der Lebensmittelpflanzen sind betroffen, und 95 Prozent der Lebensmittel stammen direkt oder indirekt aus dem Boden.Simon Potts, Professor ab der britischen Universität Reading, sagt: „Wenn es weniger Bestäubung gibt, wird auch weniger produziert. Aber es geht nicht nur um geringere Erträge oder Mengen, sondern auch um eine geringere Qualität. Ihre Erdbeeren werden unförmig und sind nicht mehr so zuckerhaltig.“ In der Wissenschaft, so Potts, nenne man dieses Phänomen das „Bestäubungsdefizit“.Weltweit gehen bis zu fünf Prozent der Obst- und Gemüseproduktion durch unzureichende Bestäubung verlorenEine in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Auswertung wissenschaftlicher Datenbanken aus 48 Ländern ergab, dass Früchte, die von Tieren und Insekten bestäubt werden, im Durchschnitt eine um 23 Prozent bessere Qualität aufweisen als solche, die nicht von Tieren bestäubt werden. Das schlage sich insbesondere in Form, Größe und Haltbarkeit von Obst und Gemüse niederschlägt. Der Anbau von Obst, das kurzlebig ist und seltsam aussieht, führt wahrscheinlich zu mehr Lebensmittelverschwendung. Das macht sich in der gesamten Produktionskette bemerkbar, warnen die Forscher. Wie wirkt sich das auf unser globales Lebensmittelsystem aus?Die Bestäubung durch Insekten trägt mehr als 600 Millionen Pfund pro Jahr (rund 690 Millionen Euro) zur britischen Wirtschaft bei. „Die biologische Vielfalt sollte als legitimer Beitrag zur Landwirtschaft betrachtet werden“, sagt Potts. „Landwirte kümmern sich um Wasser, Düngemittel und Pestizide, um das Saatgut, das wir in den Boden bringen, aber nur sehr wenige kümmern sich um die biologische Vielfalt“. Weltweit gehen zwischen drei und fünf Prozent der Gemüse-, Obst- und Nussproduktion durch unzureichende Bestäubung verloren, so eine von der Harvard University geleitete Studie, die in der Zeitschrift Environmental Health Perspectives veröffentlicht wurde.Der leitende Forscher, Matthew Smith, der sich auf Umwelt und Gesundheit spezialisiert hat, sagt: „Auf den ersten Blick war ich überrascht, dass diese Zahl so gering ist.“ Die Auswirkungen dieses Verlusts von drei bis fünf Prozent sind jedoch erheblich: Er führt zu etwa 420.0000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr, die auf einen geringeren Verzehr gesunder Lebensmittel und die daraus resultierenden Krankheiten zurückzuführen sind, so die Forscher. Smith sagt: „Um diese Zahl ins rechte Licht zu rücken, entspricht dies der Zahl der Menschen, die jährlich an Drogenmissbrauch, zwischenmenschlicher Gewalt oder Prostatakrebs sterben.“Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Verluste können ebenfalls erheblich sein. Eine Studie hat gezeigt, dass ein Bestäubungsdefizit bei der britischen Ernte der Apfelsorte „Gala“ Produktionsverluste in Höhe von 5,7 Millionen Pfund (rund 6,6 Millionen Euro) bedeuten könnte. Smiths Team modellierte einen ähnlichen wirtschaftlichen Wertverlust der landwirtschaftlichen Produktion für drei Länder: Honduras, Nigeria und Nepal. Die Forscher fanden heraus, dass zwischen 16 und 31 Prozent des wirtschaftlichen Wertes der landwirtschaftlichen Produktion durch unzureichende Bestäubung verloren gehen. „Da in diesen Ländern ein bis zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt sind, ist dies ein enormer und weit verbreiteter Effekt“, sagt Smith.Bestäuber sorgen für sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen, denn gesunde Pflanzenökosysteme halten die Wasserwege sauber. Mangroven, die von der Bestäubung durch Tiere profitieren, filtern Schadstoffe heraus, absorbieren Abflüsse und fördern die Sedimentation – all dies trägt zur Verbesserung der Wasserqualität bei. Seit Ende der 1990er Jahre ist der weltweite Mangrovenbestand um etwa 35 Prozent zurückgegangen. Außerdem zeigt eine in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Arbeit, dass Lebensräume mit mehr Arten Schadstoffe schneller entfernen können, was ebenfalls die Wasserqualität verbessert. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Verlust an wildlebenden Tieren und Pflanzen in Süßwasserökosystemen doppelt so hoch ist wie in den Ozeanen und Wäldern. Nur 40 Prozent der Gewässer in Europa werden als „ökologisch einwandfrei“ eingestuft.Vereinte Nationen: Bis zu 40 Prozent der Böden sind geschädigtBei einer Dürre denken wir in der Regel an die Auswirkungen an der Oberfläche: Pflanzen verwelken, Seen trocknen aus, Menschen und Tiere sind zum Weggang gezwungen. Doch unter der Oberfläche ist eine parallele Krise im Gange. Der Klimawandel hat direkte Auswirkungen auf die Kulturpflanzen, wie zum Beispiel Hitzestress, aber auch indirekte Auswirkungen wie die Zerstörung von Insektenpopulationen und die Verringerung der biologischen Vielfalt im Boden, wo mehr als die Hälfte aller Arten leben. Mikroben in Böden sind während Dürreperioden nicht so widerstandsfähig wie bisher angenommen, da sich ihre Biologie zu verändern scheint. Das zeigt eine in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlichte Arbeit.Franciska de Vries, Professorin der Universität Amsterdam, war federführend an der Studie beteiligt. Sie sagt, dass sich extreme Ereignisse wie Dürren, Hitzewellen und Stürme unmittelbar auf die Pflanzen auswirken. Wiederkehrende Wetterextreme schädigten jedoch die biologische Vielfalt im Boden und die Fähigkeit der Pflanzen, langfristig zu wachsen. Wenn es wirklich lange genug trocken sei, stürben die Bodenorganismen einfach ab. „Es ist eine Art doppelter Schlag“, sagt De Vries. „Einerseits bewirtschaften wir unsere Böden nicht sehr gut, was ihre Fähigkeit, mit diesen extremen Ereignissen umzugehen, verringert. Gleichzeitig machen diese Extremereignisse unsere Böden und unsere Nutzpflanzen noch anfälliger.“Placeholder image-1Bis zu 40 Prozent der Böden gelten laut Daten der Vereinten Nationen heute als geschädigt. Die Hälfte der Weltbevölkerung leidet bereits unter den Auswirkungen einer verringerten Bodenfruchtbarkeit. Unter diesen Bedingungen können sich Krankheiten leichter ausbreiten, weil das System geschwächt ist und bestimmte Organismen im Boden nicht mehr existent sind. „Wenn man gesunde Böden mit Organismen hat, die den Pflanzen helfen können, werden die Auswirkungen dieser Extremereignisse bis zu einem gewissen Grad abgeschwächt“, so de Vries.Die Auswirkungen des Naturverlustes auf den Menschen werden oft als etwas dargestellt, das erst in der Zukunft eintreten wird. Obwohl einige bereits spürbar sind, bleibt das Bewusstsein für die Krise der biologischen Vielfalt hinter dem für die Klimakrise zurück. „Ich glaube, das Thema die biologische Vielfalt hat heute so viel Aufmerksamkeit wie das Klima vor 20 Jahren“, sagt Potts. „Solange die Öffentlichkeit nicht wirklich die Realität erlebt, dass sich ihr Leben verändert hat, wird die Forschung allein die Menschen nicht überzeugen können – das lehrt uns die Geschichte des Klimawandels.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.